Warum sich die Ratschläge der amerikanischen und deutschen Ökonomen so stark widersprechen. Die vielleicht beste Nachricht dieser erneut grässlichen Griechenland-Woche kam für Angela Merkel aus dem fernen New York. Paul Krugman, Star-Ökonom und notorischer Quälgeist, kündigte an, er brauche Urlaub und werde eine mehrtägige Fahrradtour unternehmen. Er komme deshalb nicht dazu, seinen Blog und seine Kolumne für die New York Times zu schreiben – jene viel gelesenen Werke, in denen der Nobelpreisträger zuletzt beinahe täglich Gift und Galle gegen Merkels vermeintlichen Sparwahn spuckte. Es sei « ein Akt monströser Torheit », dass es die Gläubigerstaaten mit Griechenland und dem Euro so weit hätten kommen lassen, schleuderte er der Kanzlerin noch hinterher, bevor er sich aufs Rad schwang und verschwand.
Nun könnte es Merkel wurscht sein, was irgendein amerikanischer Ökonomieprofessor von ihrer Politik hält, gäbe es da nicht zwei Probleme: Erstens sind es in Amerika nicht nur politisch links stehende Wirtschaftswissenschaftler wie Krugman, die das Krisenmanagement der Europäer für falsch halten, es ist vielmehr – quer durch alle Denkschulen – praktisch die gesamte Zunft. Und zweitens haben die vielfach prämierten US-Ökonomen nicht nur immensen Einfluss auf die Meinungsbildung daheim, sondern auch in Europa. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass das Verständnis für Merkels harte Haltung in der Griechenland-Frage weltweit immer weiter sinkt.
Im Grunde geht es um die alte Frage nach der Henne und dem Ei
Die Kanzlerin ist dabei in einer gleich mehrfach unkomfortablen Situation, denn ihr stehen gleichzeitig deutsche Zahlendeuter wie Ifo-Chef Hans-Werner Sinnauf den Füßen, von Euro-Skeptikern wie Bernd Lucke oder Joachim Starbatty ganz zu schweigen. Sie empfinden Merkels Vorgehen in der Euro-Krise nicht als zu hart, sondern im Gegenteil als zu weich und sehen Milliarden an deutschen Steuergeldern im griechischen Sumpf verschwinden. Obwohl sie dieselben Fächer studiert haben wie ihre amerikanischen Kollegen, könnten die Differenzen größer nicht sein. Politikern wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble macht es diese Vielstimmigkeit leicht, selbst über Nobelpreisträger die Nase zu rümpfen.
ANZEIGE
Im Grunde geht es in dem Streit zwischen der Bundesregierung und ihren US-Kritikern um die alte Frage nach der Henne und dem Ei. Während Merkel und Schäuble der Meinung sind, dass gesunde Staatsfinanzen die Voraussetzung für dauerhaftes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum sind, sehen es die Volkswirte genau anders herum: Für sie muss zunächst Wachstum da sein, notfalls auch solches, das vom Staat auf Pump finanziert ist. Erst dann – und nur dann – kann die Sanierung des Haushalts gelingen, ohne dass es zunächst zu einem massiven Konjunktureinbruch und Massenarbeitslosigkeit kommt. Wer recht hat in dem Streit, ist eine Glaubensfrage, die Diskussion dreht sich seit Jahren im Kreis.
Was die Amerikaner an Europa vor allem stört, ist die vermeintliche Schicksalsergebenheit, mit der die Politik jahrelange Rezessionen und Jugendarbeitslosenquoten von bis zu 50 Prozent erträgt. Den Verantwortlichen mangelt es demnach an Entschlossenheit und Führungskraft, im amerikanischen « leadership » genannt, – und an der Bereitschaft, eine Doktrin in der Not einfach über Bord zu werfen.
Wie Pragmatismus und Tatkraft für US-Ökonomen aussieht, bewies 2008 der damalige, bei den Professoren ansonsten wenig beliebte Präsident George W. Bush. Als nach der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers einer Reihe von weiteren Geldhäusern der Kollaps drohte, wurden die Institute ohne viel Federlesens geschlossen, verstaatlicht, rekapitalisiert oder zwangsfusioniert – und Jahre später mit Gewinn wieder verkauft. In Deutschland hingegen leistete man sich zunächst eine quälende Grundsatzdiskussion darüber, was die Regierung in der Not darf und was nicht. Erst mit langer Verzögerung und zu viel höheren Kosten wurden dann die HRE ganz und die Commerzbank teilweise verstaatlicht.
Europa, der passive Kontinent
Es ist diese Art der Zögerlichkeit, die dazu geführt hat, dass US-Ökonomen Europa mittlerweile für den passiven Kontinent halten – einen Kontinent, der sich stets mit zu wenig zufrieden gibt, der in vielen Zungen spricht, sich permanent im Geflecht seiner Institutionen verheddert und sein wirtschaftliches wie politisches Potenzial nicht ausschöpft. Edmund Phelps von der New Yorker Columbia-Universität wundert es deshalb kaum, dass Smartphones und all die anderen Kassenschlager der IT-Industrie heute aus den USA und Asien kommen – und nicht aus Europa. « Europas Wirtschaft ist zu mechanistisch, zu roboterhaft, zu passiv, sie lässt zu wenig Kreativität zu », sagte er jüngst bei einer Podiumsdiskussion mit Schäuble in New York.
Für ähnlich passiv, verstockt und unflexibel halten die US-Ökonomen auch die europäischen Politiker, allen voran die deutsche Kanzlerin. Zwar bewundert etwa Robert Shiller von der Universität Yale Merkel dafür, dass sie ganz Europa auf ihren Kurs gebracht hat. « Aber ihre Sparpolitik », so der keineswegs zu Krawall neigende Shiller schon vor zweieinhalb Jahren in einem Interview, « hat Europa geschadet ».
Krugman ist da sehr viel radikaler, er rät Athen mittlerweile dazu, den « Wahnsinn » hinter sich zu lassen und zur Drachme zurückzukehren. « Schlimmer als ein Euro-Austritt wäre es, wenn die Troika die verfehlte Politik der vergangenen fünf Jahre ad infinitum fortsetzt », schrieb er am Sonntag in seinem vorerst letzten Blog-Eintrag. Er widerspricht auch der Behauptung der Bundesregierung, dass ihre Medizin mit Ausnahme des Falls Griechenland in allen Krisenstaaten gewirkt habe – also in Irland, Portugal, Spanien und Zypern. « Ein paar Quartale Wachstum in einigen der Schuldnerländern können die massiven Kosten von fünf Jahren Massenarbeitslosigkeit nicht überdecken », so Krugman.
Von Claus Hulverscheidt, New York, und Alexander Hagelüken