« Die Union schießt sich im Europawahlkampf auf Martin Schulz ein. EU-Kommissar Oettinger will da nicht mitmachen. Der Christdemokrat glaubt, dass der SPD-Spitzenkandidat einen guten Kommissionspräsidenten abgeben würde.
Brüssel – Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) glaubt fest daran, dass einer der Europawahl-Spitzenkandidaten auch den mächtigen Posten des Kommissionspräsidenten übernehmen wird. Anders als die meisten seiner Parteifreunde traut Oettinger diese Aufgabe aber auch dem Frontmann der europäischen Sozialisten, Martin Schulz, zu.
« Ich bin natürlich für Jean-Claude Juncker, auch weil ich glaube, dass er noch mehr Erfahrung mitbringt », sagte Oettinger SPIEGEL ONLINE mit Blick auf den gemeinsamen Spitzenkandidaten der Europäischen Konservativen. « Aber Martin Schulz könnte den Job ebenfalls, er kennt in Brüssel und Straßburg jeden Stein. Allerdings würde Schulz auch rasch erfahren, wie groß die Zwänge als Kommissionspräsident sind und dass in Europa eine Große Koalition regiert, nicht die Sozialisten. »
Die lobende Worte Oettingers für den SPD-Politiker sind durchaus überraschend. Denn Schulz, derzeit Präsident des Europäischen Parlaments, wird in der Endphase des Europawahlkampfs von CDU und CSU zunehmend heftig attackiert. Zuletzt hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel sogar ein Machtwort der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden Angela Merkel gefordert, um den Angriffen ein Ende zu bereiten.
Bedenken, die Staats-und Regierungschefs könnten nach der Europawahl am 25. Mai doch noch eigene Kandidaten durchsetzen, wies der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurück. « Der Europäische Rat weiß genau, dass er einen Vorschlag machen muss, den das Parlament akzeptiert », sagte Oettinger. « Und die neuen Abgeordneten werden die Staats- und Regierungschefs sofort daran erinnern, dass sie erstmals einen echten Europawahlkampf mit Spitzenkandidaten geführt haben. »
Der amtierende Energiekommissar Oettinger unterstrich zugleich seinen Wunsch, nach der Europawahl wichtigster deutscher Interessenvertreter in Brüssel zu bleiben: « Es wäre spannend zu bleiben. Und ich hätte sicherlich Chancen, wieder ein einflussreiches Ressort zu bekommen. » Doch die endgültigen Entscheidungen dazu fielen erst nach der Europawahl.
Eine Lanze für die Eurokraten
Zugleich verteidigte der Christdemokrat, der gerade aus den eigenen Unionsreihen für seine Europafreundlichkeit kritisiert wurde, die europäischen Behörden gegen populistische Schelte im Europa-Wahlkampf. « Wie da manchmal über ‘die Eurokraten’ hergezogen wird, ist eine Unverschämtheit. Niemand spricht von Germanokraten oder Schwabokraten. » In Brüssel würden die Beamten in keiner Weise schlechter, eher sogar besser als die nationalen Behörden arbeiten, so Oettinger. « Es ist schon auffällig: Wenn etwas gut läuft in Europa, waren es die Mitgliedstaaten. Wenn es Zumutungen gibt, war es die Kommission. »
Oettinger wehrte sich auch gegen Vorwürfe der Spitzenkandidaten Schulz und Juncker, die Kommission übertreibe die Regulierung etwa bei geplanten Vorschriften für Wasser sparende Duschköpfe: « Schulz ist bisher nicht im Europäischen Parlament dadurch aufgefallen, dass er gegen Regulierung ist. Juncker war dabei, als die EU-Länder die Ziele und Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz beschlossen haben. Es muss doch erlaubt sein, darüber zu diskutieren, dass der Einsatz von Heißwasser beim Duschen reduziert wird, um Strom zu sparen. »
Allerdings präsentierte der Christdemokrat Reformvorschläge, wie Regulierung effektiver organisiert werden könne. Die Arbeit der 28 Kommissare und der ihnen zugeordneten Generaldirektionen müsse besser strukturiert werden. Aus dem Sport oder dem Tourismusbereich könne sich die Kommission in Zukunft komplett heraushalten. Dafür sollte es zehn oder zwölf Themen geben, wo die Europäisierung entschieden vorangetrieben werde: « Die Ukraine-Krise hat gezeigt, dass wir dringend eine gemeinsame Energieaußenpolitik und eine europäische Energieinfrastruktur brauchen. »
Keine Sonderregeln für große EU-Staaten
Auch bei der Kontrolle von Haushalt und Finanzen der Mitgliedstaaten soll die EU-Kommission nach dem Willen von Oettinger künftig eine noch größere Rolle spielen: « Das kann niemand anders machen als die Kommission, weder die Europäische Zentralbank, noch der Europäische Gerichtshof. Unsere Leute haben Frankreich für sein übermäßiges Defizit gerade in aller Sachlichkeit und Deutlichkeit die Gelbe Karte gezeigt. Ich würde nach diesem Zwischenzeugnis nicht französischer Finanzminister sein wollen. »
Allerdings wies Oettinger kritisch darauf hin, Frankreich habe nun schon zweimal einen Fristaufschub erhalten, das Haushaltsdefizit endlich auszugleichen: « Klar ist: Es kann nicht sein, dass die Kommission kleinere Länder wie Griechenland oder Portugal an die Kandare nimmt und bei großen Staaten beide Augen zudrückt. »
Von Christoph Pauly und Gregor Peter Schmitz, Brüssel