« Der Nationalismus, das ist der Krieg », sagte einst der französische Präsident Mitterrand. Nach der Europawahl herrscht nun wieder ein gefährliches Klima der Entsolidarisierung. Wegen der Erfolge der Populisten ist Frankreich geschwächt und Großbritannien auf einem bizarren Sonderweg. Das macht Deutschlands Rolle in der EU noch schwieriger.
Europa ist aus seinen Nationen gebaut, seit vielen Hundert Jahren. Das macht die Vereinigung des Kontinents auch jetzt zu einer so schwierigen politischen Aufgabe. Freilich ist der Nationalismus für Europa kein Konstruktionsprinzip mehr, sondern im Gegenteil sein Destruktionsprinzip.
Die verheerenden europäischen Kriege des 20. Jahrhunderts wurden unter dem Banner des Nationalismus ausgefochten. François Mitterrand hatte völlig recht, als er in seiner bewegenden Abschiedsrede vor dem Europaparlament den Satz sagte, der die Summe seiner politischen Lebenserfahrung zusammenfasste: « Der Nationalismus, das ist der Krieg. » In diesem Sommer 2014 begeht Europa den 100. Jahrestag des Beginns des 1. Weltkrieges, der Urkatastrophe, die Europa in den Abgrund nationalistischer moderner Kriege stürzen sollte, mit Millionen Toten. Und es erinnert sich auch an den 70. Jahrestag der alliierten Landung in der Normandie, die den Zweiten Weltkrieg zugunsten der Freiheit Westeuropas und später, nach dem Ende des Kalten Krieges, auch ganz Europas entscheiden sollte. An den Küsten der Normandie wurde vor siebzig Jahren das nationalsozialistische Deutschland besiegt, das damals Europa mit militärischer Gewalt besetzt und unterdrückt hielt.
Und nun, knapp hundert Jahre nach jenem unseligen Juli 1914, scheint der Nationalismus gegen jegliche Vernunft wieder die Zukunftshoffnungen vieler Europäer auszudrücken, während das vereinte Europa, jener Garant des Völkerfriedens, als Last und Bedrohung angesehen wird. Dies ist die eigentliche, die dramatischste Niederlage Europas bei den jüngsten Europawahlen, die sich nicht allein in Zahlen und Prozenten ausdrückt. Wie konnte es so weit kommen?
Würde man die Bedeutung der jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament ausschließlich daran messen, dass die überwiegende Mehrheit der Bürger proeuropäische Parteien gewählt hat, so würde man das Wesentliche an diesem Ergebnis verpassen: den dramatischen Zuwachs für europakritische, nationalistische Parteien in mehreren wichtigen Mitgliedstaaten, in Frankreich, Großbritannien, Dänemark, Österreich, Griechenland und Ungarn. Hält dieser Trend an, so wird er zur existenziellen Gefahr für die Europäische Union, weil er ihre dringende Weiterentwicklung blockieren und ihre Idee von innen heraus zerstören wird. Vor allem Frankreich gibt Anlass zu großer Sorge. Denn dort ist der Front National landesweit zur dritten politischen Kraft herangewachsen. « Frankreich erobern, Europa zerstören! » lautet nun das Ziel der Partei. Und der FN meint es damit ernst. Frankreich ist, gemeinsam mit Deutschland, für die Fortentwicklung der EU notwendig. Ohne Frankreich geht nichts in der EU.