Als Lösung empfehlen die US-Autoren, sich Sokrates zum Vorbild zu nehmen. Der unbequeme Zausel lebte im vierten Jahrhundert vor Christus in Athen. Statt seine Ideen aufzuschreiben, sprach er lieber mit so gut wie jedem auf der Straße, legte sich ständig mit den Mächtigen an und wurde schließlich wegen Gottlosigkeit zum Tode verurteilt. Also: voller Mut zum Risiko. « Die Philosophie muss mehr raus. Das Sonnenlicht wird ihr gut tun », schreibt Frodeman. Das sei bitter nötig, denn auch der Markplatz sei in einem ziemlich baufälligen Zustand, und die Themen lägen förmlich auf der Straße – ob es um autonome Killerroboter gehe, Privatsphäre im digitalen Zeitalter, den Klimawandel, die Neudefinition von Freundschaft im Internet, die Weiterentwicklung des Menschen mittels Biotechnologie.
Der Militärjournalist Franz-Stefan Gady schlägt sogar vor, einen Philosophen vom Schlage Sokrates ins Pentagon zu schicken. Ein « Philosopher in Chief » wäre nützlich, argumentiert Gady, um als « professioneller Störenfried » ständig die Arbeit der Militärs zu hinterfragen und sie mit elementaren Fragen zu bombardieren: « Was ist das Militär? » oder « Was heißt Sieg? »
« Philosophy on the fly »
« Klarerweise wäre jetzt die Stunde der Philosophen », sagt Thomas Vašek, Chefredakteur der Philosophie-Zeitschrift Hohe Luft. « Schon das Wort des Jahres, ‘postfaktisch’, ist doch in philosophischer Hinsicht ein hochproblematischer Begriff. » Gerade in der aufgeheizten Stimmung vermisse er eine mahnende Stimme. Das von ihm gegründete Magazin hat kürzlich ein « Philosophisches Manifest » veröffentlicht. Die Forderungen: Philosophen sollen wieder Vorbilder sein, nicht mehr wie eine abgehobene Elite daherkommen und endlich die Digitalisierung ernst nehmen. « Das wurde zum Teil als Weckruf verstanden », sagt Vašek. Von den Universitäten erwartet er dennoch wenig. « Im akademischen System denken manche Leute, bevor sie nicht habilitiert sind, dürfen sie gar nichts sagen. » Größere Hoffnung als auf die « alten Autoritäten » setzt Vašek auf die Jungen, Denker außerhalb des akademischen Systems.
Frodeman und Briggle nennen diesen Zirkel die « neue Republik der Gelehrten », in Anlehnung an die Gemeinschaft der europäischen Wissenschaftler im 17. und 18. Jahrhundert. Zu diesem informellen Netzwerk zählen sie Geschäftsleute, Wissenschaftler, Ingenieure und Futuristen. Leute, die eher in Forschungseinrichtungen von Google oder Apple arbeiten statt an Universitäten, und eine « Philosophy on the Fly » betreiben, ein Ad-Hoc-Philosophieren an konkreten Problemen.
Der Stoizismus erlebt eine Renaissance – kein gutes Zeichen
Die Richtung dieser neuen Philosophie ist allerdings manchmal merkwürdig. Eine Denkschule, die momentan vor allem im Silicon Valley ein Comeback erlebt, ist der Stoizismus. Dessen antike Erfinder predigten sinnliche Enthaltsamkeit, Selbstkontrolle und die Unempfindlichkeit gegenüber äußeren Rückschlägen. Einer der berühmtesten Stoiker, der römische Kaiser Mark Aurel, soll sich jeden Morgen vorgestellt haben, was ihm heute alles Übles zustoßen könnte, um die seelischen Schmerzen im Vorfeld auszumerzen. Heute erlebt die antike Philosophie ein Revival, der US-Unternehmer und Autor Ryan Holiday beschreibt den Stoizismus als « Life-Hack », also als praktische Lebenshilfe, um Dinge zu akzeptieren, die man nicht verändern kann. Sein Buch « The Obstacle is the Way » verkaufte sich hunderttausendfach. Auch Google soll schon Seminare über die Denkschule für seine Mitarbeiter abgehalten haben. Silicon-Valley-Guru Tim Ferriss nennt den Stoizismus ein « perfektes Betriebssystem, um in einer hochstressigen Umgebung aufzublühen ».
Der zweite große Vordenker des Stoizismus ist Epiktet, ein römischer Sklave, der darüber schrieb, wie man sein auferlegtes Schicksal innerlich am besten akzeptieren kann. Angesichts der Renaissance der Ideen nannte die Philosophin Sandy Grant von der Cambridge University den Stoizismus kürzlich in einem Interview « eine Philosophie für eine Zeit der Sklaven » und « vielleicht das letzte, was wir brauchen ». Wenn man Dinge für außerhalb seiner Kontrolle halte, lehne man sich auch nicht dagegen auf, argumentiert Grant. Gerade in einer Zeit der Ungerechtigkeit und Unterdrückung sei es aber nötig, gemeinsam zu handeln – selbst wenn die Dinge zunächst unabänderlich scheinen. Die Umstände so akzeptieren wie sie sind, hat politisch jedenfalls noch nie etwas verändert.